"BOUNDLESS VOWS, ENDLESS PRACTICE „GRENZENLOSE GELÜBDE, ENDLOSE PRAXIS
Bodhisattva Vows in the 21st Century" Bodhisattva-Gelübde im 21zigsten Jahrhundert"
Published 2018 by Dogen Institute Dōgen Institute, veröffentlicht 2018
Kapitel 10
KAIKYŌ ROBY
DAS BODHISATTVA - HERZ
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Herz der Welt ein Bodhisattva-Herz ist. Ich bin überzeugt, dass wir sowohl in den drei Zeiten und in den zehntausend Richtungen als auch in jeder spirituellen und religiösen Tradition Bodhisattvas finden. Ich bin überzeugt, dass Bodhisattvas still und freudig gelassen und vielleicht zu anderen Zeiten auch etwas lauter, alle gemäß ihrer Lebensumstände, ihrer Kultur, Zeit und gemäß der Ursachen und Bedingungen zum Wohle aller Existenzen jenseits von Raum und Zeit gewirkt haben, gerade wirken und wirken werden, bis in die Unendlichkeit. Ich bin überzeugt, dass das gesamte Universum, das unendlich kleine genauso wie das makroskopisch bislang noch nicht erforschte große, mit dem Herz aller Bodhisattvas schlägt. Das drückt aus wie stark und grenzenlos dieses Vertrauen in meinem Körper/Geist unerschütterlich verwurzelt ist, eins mit den fünf skandhas, die mich in die Lage versetzen, zu fühlen, zu denken und diesen wundervollen Weg, der mir durch wundersames Karma gegeben wurde, zu teilen.
Die Wahrheit ist, dass das dieses Vertrauen und dieses tiefsitzende Gefühl jenseits von Worten sind, aber auch Worte sind kostbare Instrumente. Sie sind nützlich, weil sie es uns erlauben, in unserem Leben in der Gemeinschaft eine gemeinsame Basis zu finden und miteinander zu teilen. Wie hätten wir ohne Worte durch die Lehren und Beispiele von Şākyamuni Buddha, Dōgen-Zenji und all den Vorfahren, die das Licht des Dharmas durch Worte und Schrift übermittelt haben, erreicht und berührt werden können?
Ich denke und fühle, dass, wenn wir uns auf diesen Weg begeben – und ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich wissen, wann er für jeden von uns beginnt (Kein-Anfang und Kein-Ende) –, die Praxis und das Hören der Lehren Schwierigkeiten bereiten können und wir verstehen sie vielleicht auf eine naive Art und Weise. Auch das Herz braucht Schulung. Ein Bodhisattva zu sein bedeutet nicht nur Gutes tun zu wollen und anderen Priorität einzuräumen, es erfordert genauso, in kleinen Schritten zu lernen, Erfahrung für Erfahrung, Lehrer für Lehrer, wie, wo und wann Gutes zu tun ist – oder einfach gesagt, wie und wann zum Wohle anderer, als unserer Hauptmotivation, angemessen gehandelt wird. Da Avalokiteśhvara eine Hand für jeden und jedwede Lebensumstände hat, muss der Bodhisattva mit seinem ganzen Herzen und Körper erfahren und erlernen, wann zu sprechen, zu handeln oder ruhig zu bleiben und nichts zu tun ist, wenn es zum Wohle aller Wesen geschehen soll. Als Bodhisattvas beschreiten wir diesen Wef und erwachen auf diesem Weg. Einen Schritt nach dem anderen bewegen wir uns in kinhin in einem endlosen Kreis, endlose Kalpas den Schritten Buddhas und der Vorfahren folgend.
BODHISATTVAS DES 21ZIGSTEN JAHRHUNDERTS
Wer sind sie? Wo sind sie? Wie unterscheiden sie sich (oder auch nicht) von anderen in ihrem Tun? Bodhisattvas sind wie alle anderen menschlichen Wesen oder Wesen im Allgemeinen. Sie leben dieses Leben mit den unausweichlichen Aufgaben, die jeder in der Gesellschaft als einen Teil seiner oder ihrer Verpflichtung und Lebenspraxis zu bewältigen hat: Ehepartner, Mütter, Väter, Großväter, Lehrer, Ärzte, Anwälte, Mönche und Nonnen, Priester und Schweißer, Mechaniker und Müllarbeiter, Tiertrainer und Tierärzte. Als Bodhisattvas haben sie miteinander das Herz gemein, das alles geben will, um alle Wesen dabei zu unterstützen, einen Weg des Lichts, der Verwirklichung und des wahren Glücks zu beschreiten, unabhängig jedweder spirituellen Tradition oder deren Nichtvorhandensein und nicht nur diejenigen betreffend, die sich selbst für Buddhisten halten oder es sein wollen.
Obwohl Bodhisattvas in der gewöhnlichen Alltagswelt leben und gewöhnlichen Alltagsaktivitäten nachgehen, leben sie ein Leben, das durch das Gelübde geleitet ist, durch Praxis auf dem Kissen und in jeder Alltagsaktivität zu erwachen, und all das zum Wohle aller Wesen. Liebende Eltern, egal, was sie tun oder vorhaben mögen, haben immer die besten Absichten in Bezug auf ihre Kinder; sie leben angetrieben von dem edlen Wunsch, ihrer Nachkommenschaft die besten Möglichkeiten zu bieten. Bodhisattvas tragen auf genau die gleiche Weise das größte Interesse an allen Wesen in ihrem Herzen, aber sie werden eher durch Gelübde dazu bewegt, denn durch Karma. Sie haben die Wahl getroffen, ein Leben zu führen, welches das spirituelle Wohlergehen der Welt im Fokus hat, sich selbst von jeglichem persönlichen Interesse loslösend. Sie haben sich verbindlich dazu verpflichtet, mit ihren Herzen den Rufen der Welt zu lauschen und durch das Anbieten heilender Worte, Handlungen, harmonisierender Sichtweisen und eines Lebens, das die Freuden und die Sorgen aller Wesen miteinbezieht, die Leidensrufe in Erwachen zu transformieren,.
Das Bodhisattva-Leben ist eines nicht endender Umwandlung. Leben ist naturgemäß unbeständig. Wie können wir die gleichen bleiben (gleiche Sichtweisen, gleiche Meinungen, gleiche Strategien und Handlungen), wenn alles um uns herum sich ständig verändert? Geboren zu werden, zu altern, krank zu werden und zu sterben sind die Hauptveränderungen, denen wir, wenn wir das Glück haben, entgegensehen in unserem Leben. Aber zwischendrin werden alle Farben des Regenbogens, die heiteren und die bedrückenden, die freudvollen und die dramatischen, unser Leben und alle darin mit eingeschlossenen Existenzen auf unvorstellbare Weise bunt färben. Bodhisattvas, von Gelübde angetrieben, heißen diese Veränderungen willkommen – die kleinen, subtilen wie auch die wirklich durchschlagenden. Unverhüllt dem Wind entgegen, mit offenen Armen und dem Kopf himmelwärts, weinen oder freuen sie sich, aber vor allem umarmen sie die Veränderungen, die sie nicht kontrollieren können. Es ist einfach so zu verstehen, dass sich Bodhisattvas immer wieder und wieder, Mal für Mal, in die transformierende Wandlung, die auf ihrem Weg erscheint, verschmelzend einfließen lassen, mit allem, was dabei passiert.
DIE VIER GELÜBDE
Das sind die Hauptgelübde der Bodhisattvas aller Zeiten, von anfanglosen Zeiten bis zu den endlosen. Wir lesen und erforschen sie; wir drehen und wenden sie. Wir versuchen sie, die vier edlen Wahrheiten und die Beispiele unserer Vorfahren, durch ihr Studium und mit Hilfe unserer Lebenserfahrung, auf unser Leben anzuwenden. Wir scheitern, wir beginnen wieder und wieder; wir verlieren für einen Moment den Mut; wir bereuen unsere falschen Handlungen und unser mannigfaches Fehlverhalten jedes Mal, wenn wir auf dem Kissen sitzen. Schließlich erkennen wir eines Tages, dass unsere Praxis ohne Ziel und Gewinn ist, ohne Grenzen und ohne einen Zielort, den man erreichen oder an dem man aufhören könnte. Wir müssen, ohne darüber bestürzt zu sein, dabei bleiben, zu unserem Entschluss zurückzukehren, auf das Kissen, zu den Bodhisattva-Gelübden und zu unserem eigenen, persönlichen Gelübde dieses Leben betreffend. Ein Bodhisattva weiß, dass, wenn unsere Herzen den Spuren Buddhas und der Vorfahren folgen wollen, wir laufend unser Menschsein und unser Karma akzeptieren müssen, mit unserem Gelübde diese ausbalancieren müssen, zum Wohle der Welt fortwährend zu erwachen. Wir müssen darauf vertrauen, dass wir auf jede Weise durch die Buddhas und Vorfahren der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterstützt werden. Unsere Vorfahren zählen auf uns, unser Leben und unsere Praxis, um ins Leben zu treten und jene wundersamen Lehren inmitten des Ozeans dieser Existenz und aller Existenzen in saṃsāra/nirvāņa, Leben/Tod und in diesem und allen unendlichen Universen, vergangen, gegenwärtig, zukünftig, in Fluss zu halten.
Diese übergreifenden Gelübde, wie auch die sehr spezifischen, die wir verinnerlicht und denen zu folgen wir uns verpflichtet haben, sind tief in unseren Zellen und sozusagen in unserer DNA verwurzelt. Unsere Verwandlung von einem Herzen eines Bodhisattvas zu einem Leben eines Bodhisattvas verändert unseren Körper/Geist. Ich weiß nicht wie; ich kann nur die Kraft dieser Überzeugung und ihre Realität für mich bezeugen. Dieses Statement drückt mein Vertrauen in den Rückhalt durch die Vorfahren aus, nicht nur die der Sōtō Zen-Tradition, die weiterzutragen und mit meinem Leben zu teilen, ich gewählt habe, sondern der Bodhisattvas (man mag sie Heilige, Propheten, Messias oder irgendwelche Namen der verschiedenen Traditionen entsprechend nennen) und Vorfahren aller Traditionen. Ich vertraue auch darauf, dass unser Karma, zusammen mit unserer Praxis, fortlaufend Raum schafft für ein Mehr an Weisheit und Verfügbarkeit in Bezug auf das, was wir brauchen, um zu verwirklichen, was in jedem Aspekt unseres Leben verwirklicht werden muss. Aber wir sind uns klar darüber, dass die ganze Zeit, solange wir leben und sprechen, denken, handeln, Wünsche hegen, egal wie hehr sie auch sein mögen, wir Karma erschaffen. Diese Wandlung von Körper/Geist, welche sich nach und nach, genauso wie unmittelbar sofort, komplett durch unsere gesamte Existenz vollzieht, findet statt, während wir in Zazen unser Leben auf das Kissen bringen, die Hand des Denkens öffnen, wie Kōshō Uchiyama-Rōshi zu sagen pflegte, und wenn wir unsere Praxis vom Kissen in unser tägliches Leben übertragen und zulassen und erlauben, dass alles während all der Stunden und Ereignisse des Tages, der Wochen, Monate und Jahre kommen und auch wieder gehen darf
Wie mein Lehrer Okumura-Rōshi, vertraue ich tief darauf, dass Zazen, unsere stille und unbewegliche Praxis, das Zentrum und die Grundlage unseres Bodhisattva-Lebens ist. Ohne Zazen ist jede weitere Art und Weise unser Bodhisattva-Sein auszudrücken, leer, einfach nur eine Ansammlung hohler Worte und Handlungen wie eine Eierschale ohne Inhalt. Zazen, wie das Zentrum eines Rades am Fahrrad, erhält, stärkt und strahlt in jede Richtung unserer Lebenskreise und darüber hinaus in die Unendlichkeit. Nichts bleibt unberührt oder unverändert von dieser grundlegenden Erfahrung, wenn es sich um wirkliche und ernsthafte Praxis handelt. Wir müssen nicht wissen wie diese Veränderung funktioniert. Wir müssen sie in Erfahrung bringen und sie in unserem Leben erkennen und in den Leben derjenigen, die von unserem Leben berührt werden, welches nicht länger unser persönliches Ich-zentriertes Leben ist, sondern das Leben des Dharmas, welches durch uns hindurch fließt.
LEHRER DES WEGES ÖFFNEN TÜREN ZUM GRENZENLOSEN DHARMA
Als ich meinen Lehrer traf, war ich eine Weile ohne Lehrer gewesen. Ich praktizierte mit einer Zazen-Gruppe, die ich in Miami gegründet hatte und danach in Delray Beach, Florida. Ich wollte meine eigene Praxis stärken und den Schatz, den eine Sangha darstellt, die für mich der Ausdruck und das Gefäß aller Drei Schätze darstellt, teilen. Ich hing jedoch in der Luft, weil ein Lehrer ein sehr wichtiger Teil meiner Praxis und der Drei Schätze war. Ich hatte einige Jahre lang einen wundervollen Lehrer in Venezuela, einen französischen Schüler von Taisen Deshimaru-Rōshi. Es war mein erster Lehrer, Yves Zengaku Nansen Carouget (1926 – 2010), der mein Leben der Praxis zu einem Zeitpunkt eröffnete, als ich auf Grund des tragischen Todes meines Lebensgefährten den Boden unter den Füßen verloren hatte. Ich wusste nicht mehr, worum es im Leben ging; all meine Sicherheiten, so zahlreich und so stark wie mein Wille, waren innerhalb einiger Sekunden fortgeweht worden. Ich blieb emotional und spirituell zerbrechlich und zerschlagen zurück.
Ich begann mit der Praxis einige Monate nach dem tragischen Verlust. Ich hatte keine Idee, was Zen oder Zazen war. Still vor einer Wand sitzend, Tränen liefen meine Wangen hinunter, niemand da, der mir versicherte, dass es besser werden würde, erlaubte ich meinem Leben, so wie es war, sich zu öffnen und zu begreifen, was immer auch begriffen werden musste. Alles zusammen war einfach eine tiefe, beruhigende Erfahrung, obwohl ich nicht wusste wie und warum. Drei Jahre später, als ich nach Frankreich ging, schlug mein Lehrer vor, an jukai teilzunehmen. Ich zögerte nicht, sondern spürte einfach nur die Notwendigkeit, das zu tun, was er vorschlug. Ich nähte die Teile meines Rakusu in fünf Tagen in „La Gendronnière“ zusammen, dem Tempel, der zu Lebzeiten Deshimaru-Rōshis gegründet wurde und damals wie heute von mehreren seiner Schüler und Schülerinnen gemanagt wird. Tränen rannen abermals meine Wangen hinunter und dann kam alles zusammen. Dort und genau zu diesem Zeitpunkt erkannte ich, dass ich diesem Weg folgen wollte, auch wenn ich noch so viel zu lernen hatte. Es war ein sehr wichtiger Moment. Das Rakusu gab mir Kraft und Entschlossenheit voran zu schreiten, immer noch komplett ohne zu wissen, wohin dies führen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zumindest teilweise den Druck vermindert, den ich mir selbst machte, „klare“ Entscheidungen bezüglich meines Lebens treffen zu müssen. Ich lebte immer noch damit, Loslassen von Kontrolle als einen Verlust zu erleben, da ich immer „klare“ Entscheidungen bezüglich meiner weiteren Schritte getroffen hatte. Mein [persönlicher] Wille hatte mein Leben geleitet.
Dann kreuzte mein zweiter Lehrer, Roland Yuno Rech, ein weiterer Schüler von Deshimaru-Rōshi, meinen Weg. Ich lebte in Paris, Frankreich. Sein sanftes Auftreten und seine Art der Annäherung an die Praxis öffneten eine weitere Dharma-Tür. Der Dharma verwirklichte sich selbst auf verschiedene Arten und Weisen. Ich vollzog unter seiner Leitung 1995 shukke tokudō (Novizen-Ordination). Die Länder kurz hintereinander zu wechseln schuf eine Zeit lang ein Vakuum, aber die Praxis war immer präsent. Dann beschloss ich, in ein Kloster unter der Leitung von Jean-Pierre Taiun Faure zu gehen, wieder ein weiterer Schüler von Taisen Deshimaru-Rōshi. Ich machte die Zusage, das kleine Haus zu verkaufen, dass ich erst kurz zuvor in meiner Verwirrung darüber, wo ich leben und was ich tun sollte, in Florida gekauft hatte, aber ich geriet in den Vereinigten Staaten auf Grund der damaligen Finanzkrise in die Klemme. In diesem Jahr suchte ich Okumura-Rōshi auf, einen Lehrer suchend, mit dem ich praktizieren konnte, während ich darauf wartete nach Frankreich zurückzukehren. Ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, war ich an das Ende meiner spirituellen Suche nach einem Lehrer gekommen. In diesem Jahr besuchte ich Sanshin mehrere Male, immer noch in dem Glauben, dass ich auf den Moment wartete, in das Kloster in Frankreich zu gehen. Ich erinnere mich daran, dass ich zu Okumura-Rōshi während eines unserer ersten Gespräche sagte, dass ich wüsste, was ich tun wollte: nach Frankreich gehen, in ein Kloster mit Jean-Pierre Taiun. Er antwortete: „Ich bin froh, dass du weißt, was du willst.“ Seine ruhige Antwort blieb ein Kōan in meinem Leben. Sagte er das, wissend, dass ich in einem völlig verwirrten Geisteszustand war oder war er einfach ein Spiegel meiner eigenen Sehnsüchte? Heute kann ich sagen, dass ich, ohne mir darüber so richtig im Klaren zu sein, wirklich auf der Suche nach einem Lehrer war. Jedes Mal, wenn ich nach Sanshin zu einem Genzō-e (Retreat, das sich auf das Studium von Dōgens Shōbōgenzō konzentriert) ging, flossen bei mir während der Vorträge ganz natürlich die Tränen; das stellte kein Drama dar. Das einzige, was mir möglich war zu verstehen, war, dass zum ersten Mal jemand eine Sprache sprach, die mir eher so richtig, vertraut und ohne Umschweife in meine Knochen und mein Herz zu dringen schien als in mein intellektuelles Gehirn. Ich hatte dazu noch Durchfall, aber ich war nicht an etwas Physischem erkrankt. Es war die Krankheit meines Lebens, die durch die Berührung des wahren Dharmas, das aus allen Kalpas durch die Lehrvorträge Okumura-Rōshis in meinen Körper hinein floss, geheilt wurde. Es nahm auf eine sehr physische Weise Einfluss auf meinen Körper/Geist. Zu dieser Zeit und immer noch nicht begreifend, dass er der Lehrer war, den ich sogar schon vor meiner Geburt gesucht hatte (mein starkes Ego stand mir im Weg), teilte ich ihm mit, was mit mir passierte: Tränen und Durchfall. Er entschuldigte sich und ich antwortete ihm kraftvoll: „Bitte nicht! Es ist in keinster Weise dein Fehler. Es ist der Dharma, der dir erlaubt, durch deinen Körper, Geist und deine Rede in den Vordergrund zu treten und der alles in mir verwandelt.“ Ich fügte hinzu, “Wie die Lichtstrahlen in den Glasfenstern einer Kathedrale scheint Licht durch dich hindurch und erhellt alles, was es berührt.“ Jedoch hatte ich zu genau diesem Zeitpunkt immer noch nicht kapiert, dass er der Lehrer war, den ich brauchte und mir wünschte.
Ein Jahr zog vorüber und eines Tages – ich erinnere mich sehr deutlich daran – erwachte ich plötzlich am frühen Morgen, in jeder Hinsicht des Wortes. Ich wusste exakt in diesem Moment, dass Okumura-Rōshi der Lehrer war, nach dem ich gesucht hatte. Meine erste Reaktion darauf war Bestürzung: mein wahrer Lehrer war in den Vereinigten Staaten und ich wollte doch nach Frankreich gehen! Es kam zu einer Konfrontation zwischen dem, was ich – meine Ego-zentrierte Sicht – schon so lange geplant hatte und was der Dharma als Verwirklichung in mein Leben einbrachte. Ich schob das alles beiseite und rief sofort in Sanshin an, um mit Okumura-Rōshi zu sprechen und ihn zu fragen, ob er mich als seine Schülerin annehmen würde. Er hörte mir zu und fragte mich, ob ich mir dessen sicher sei. Ich versicherte ihm, dass es keinerlei Zweifel diesbezüglich gäbe. Er bat mich jedem meiner vorherigen Lehrer zu schreiben, um meine Entscheidung mitzuteilen. Ich brauchte Monate, um diese drei Briefe zu schreiben, weil ich jedem einzelnen von ihnen so viel schuldete und ich ihnen erklären wollte, wie sie mich, in ihrer unendlichen Großzügigkeit, zu diesem Momenten meines Lebens begleitet hatten. Ich wollte liebevoll und fürsorglich sein und versuchen zu vermitteln, dass es sich hier nicht um ein Auswählen des besten Lehrers handelte, sondern dass es sich einfach um das Weiterführen eines Weges, geleitet durch Karma und Dharma handelte, der mich zu dieser Zeit an diesen Platz gebracht hatte, um ihn mit Okumura-Rōshi als meinem Lehrer zu teilen.
Nach diesem wirklich umfassend Grund legenden Moment verstand ich, dass wir einen Lehrer nicht wählen, weil die örtliche Lage einem zupasse kommt oder aus einer anderen vernunftsmäßigen oder banalen Logik heraus. Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn unsere Praxis ernsthaft und aufrichtig ist, der Dharma sich selbst auf jedwede Weise manifestiert und in jedem Moment erscheinen lässt, was ihr verwirklichen müsst. Es mag allmählich oder wie in meinem Fall plötzlich passieren, obwohl ich sicher bin, dass das Jahr meines Ankunft in Sanshin mich darauf vorbereitete, was ich an jenem frühen Montagmorgen erkennen sollte. Während ich damals diese Briefe an jeden meiner vorherigen Lehrer schrieb, machte ich die Erfahrung, wie schwierig und schmerzhaft es sein kann, von einem Lehrer oder einer Lehrlinie zu einer anderen zu wechseln, sogar wenn es einem absolut klar ist, in welche Richtung es geht. Ich habe vermocht daran herumzuknobeln und diese Überlegungen mit anderen zu teilen, die das gleiche durch machten, einschließlich mit einem meiner Schüler. Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass wir niemand anderem als dem Dharma Treue schulden, wohin und wie auch immer er uns auf unserem Weg führt. Wir lassen keinen Lehrer oder eine Herkunftslinie oder einen Sangha im Stich; Lehrer, Sanghas und Lehrlinien sind Dharma-Türen, die wir zum Wohl aller Wesen durchschreiten. Wenn wir einen Wechsel vollziehen, um unter der Leitung eines anderen Lehrers zu sein, verneigen wir uns in unendlicher Dankbarkeit vor dem Lehrer, der Sangha und dem Dharma, die uns bis zu diesem Zeitpunkt in unserer Praxis unterstützt haben und uns in die Richtung führten, in die wir uns nun ausgerichtet haben. Da sollte es keine Schuld, keinen Tadel oder Bedauern irgendeiner Art geben; letzten Endes beschreiten wir einfach den unendlichen Weg unseres Lebens geführt durch das Leben und das Licht des Dharmas. Jeder wahre Lehrer versteht das.
In einer weiteren damit verbundenen Überlegung glaube ich, dass, wenn wir einen Schritt vollziehen, wie zu einem neuen Lehrer oder Lehrlinie zu wechseln, wir alle lernen: der Mensch, der den Schritt vollzieht, genauso wie der Lehrer und die Sangha, von denen wir uns verabschieden. Es erlaubt uns allen, Fragen zu stellen: Warum wechselt dieser Mensch die Richtung? Hat es mit etwas zu tun, was wir getan oder nicht getan haben? Es wäre eine wundervolle Gelegenheit zu lernen und ein Erfahrungsmoment für alle, wenn dieser Mensch die Gelegenheit erhielte „Lebt wohl!“ zu sagen und sich in Dankbarkeit vor allen zu verneigen, seine/ihre Beweggründe darzulegen und sich nicht zurückgewiesen fühlen müsste oder betrachtet werden würde wie ein Verräter. Unglücklicherweise habe ich mehr als einmal negative Reaktionen miterleben müssen, die es für alle schmerzhafter und verwirrender werden liessen.
MEINE PERSÖNLICHEN GELÜBDE
Es brauchte einige Zeit und Lebenserfahrung, in der Lage zu sein und zu verstehen, was sich als eine Lebensmission herausstellte, die zu meinen Gelübden wurde. Da mein Lehrer den Gelübden seines Lehrers folgte, dienten mir sein Leben und seine tägliche Hingabe in dieser seiner gelebten Verkörperung jahrelang als große Inspiration. Schlussendlich gelang es mir zu klären, was ich wollte und tun musste, um ein Wirken der Liebe für alle Wesen tief umarmen zu können. Ich wünschte mir aus vollstem Herzen und mit ganzer Lebenskraft diesen Pfad mit anderen, Buddhisten oder nicht, zu teilen und daran mitzuwirken, Okumura-Rōshis Verständnis unserer Tradition in noch größerem Umfang verfügbar zu machen. Eines jener Gelübde war es, Zen-Texte aus dem Französischen oder Englischen ins Spanische zu übersetzen. Ich hatte bereits schon mit meinen zwei vorherigen Lehrern Zen-Texte übersetzt, so dass es irgendwie da schon eine Richtung gab, obwohl es an diesem Punkt noch nicht ein Gelübde war. Ein Gefühl der Dringlichkeit kam auf. Ich wollte wirklich anderen Zugang zu diesen wundervollen Lehren verschaffen und so begann ich einige von Okumura-Rōshis Texten mit seiner Erlaubnis zu übersetzen. Ich muss zugeben, dass ich nicht sehr zügig darin war, mich an das zu begeben, was ich mir als Mission vorgenommen hatte. Ich bitte dafür um Verzeihung. Bis jetzt habe ich zwei Texte übersetzt, Introduction to Zen und The Wholehearted Way. Weitere Bücher sind in der Warteschlange. Unglücklicherweise war es für mich und meinen Dharma-Bruder Denshō Quintero in Kolumbien schwierig, in der spanischen Verlegerwelt jemanden zu finden, der an dieser Art von Werken interessiert ist. Das entmutigt mich nicht, weil ich weiß, dass ich keine Kontrolle darüber habe, vielmehr muss ich den großen Dharma-Wegen trauen, uns zu leiten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Weitere Bücher stehen für eine Übersetzung an: Dōgen-Zenjis waka Gedichte⁵ und Living by Vow. Ich hoffe, die Energie und die Ursachen und Bedingungen für die Bewerkstelligung dieser so dringend benötigten Arbeit zu haben, um die Sanghas der spanischsprachigen Welt zu erreichen.
Als eine Erweiterung dieses Gelübdes habe ich meine Schüler und Schülerinnen in Deutschland und Venezuela dazu angespornt, die Texte meines Lehrers zu studieren und zu übersetzen. Meine deutsche Schülerin Ryōshun [Kyōkū] Lutz hat bereits Living by Vow übersetzt, das von einem wichtigen Verlagshaus, das auf spirituelle und religiöse Bücher spezialisiert ist, zur Veröffentlichung akzeptiert wurde. Es hat bereits Okumura-Rōshis Genjōkōan veröffentlicht. Der deutsche Sangha und ich sind äußerst froh darüber, da es hilft, sein einzigartiges und tiefes Verständnis der Lehren zu verbreiten. Zum anderen erlaubt es dem Sangha, den ich spirituell leite, unsere Arbeit auf der Praxis und dem Studium dieses kostbaren Materials basieren zu lassen, das für unser Verständnis der Lehrinhalte in unserer Tradition und Lehrlinie essenziell geworden ist. Für seine ständigen und unermüdlichen Anstrengungen sind und werden wir Okumura-Rōshis Leben und seiner [unermüdlichen] Hingabe bezüglich der Übersetzung von Dōgens Werk, für immer vorbehaltlos dankbar sein.
Mein zweites Gelübde – und vielleicht dasjenige, um das ich mich sogar noch mehr bemüht habe, seit ich im Jahr 1987 begonnen habe, diesen Weg zu beschreiten – ist es, die Zazen-Praxis zu teilen. Wo immer ich gelebt habe – Venezuela, Frankreich, Deutschland und die Vereinigten Staaten – habe ich stets eine Zazen-Gruppe gegründet. Viele Male wurde ich gebeten, zusätzlich Textstudium anzubieten, aber bei jeder Gelegenheit empfand ich, dass eine Menge Material vor Ort war, wie Bücher, Höraufnahmen oder YouTube-Videos, aber nicht genug Zeit, die der Stille und der Praxis gewidmet wurden. Ich war damals, und bin es noch heute, davon überzeugt, dass, obwohl es wichtig ist zu studieren, die Texte nicht viel Sinn machen, wenn man noch keine Zazen-Praxis als eine Grundlage des Weges und seines Lebens etabliert hat. Dem Beispiel meines Lehrers mit Entschlossenheit folgend, versuche ich mein Bestes zu geben, die absolute Grundlage, die Zazen-Praxis, zu teilen, indem ich darauf bestehe, dass es sehr wichtig ist, intensiv zu praktizieren und nicht ab und zu ein bisschen, um die Decke der Unwissenheit, die uns zermalmt, zu durchbrechen. Es ist ein rechtes Unglück zu sehen, wie Menschen gedankenlos mit der Praxis herumspielen, indem sie sehr hartnäckig versuchen, die Praxis an ihre eigenen persönlichen Bedürfnisse, ihr Verständnis und ihr Belieben anzupassen. Anstatt dem Sanshin-Stil, Einheiten von fünfzig Minuten Länge zu sitzen, zu folgen, möchten sie dies nur zwanzig oder dreißig Minuten tun. Wir bekommen alle Arten von Argumenten zu Gehör. Ein Mangel an Vertrauen, Verständnis und Erfahrung verstellt den Menschen den Weg und verhindert das Überschreiten eines bestimmten Punktes in ihrer Praxis.
Wie ich viele Male wiederholt habe, ist unsere Praxis ein wahrer Schatz; er wird sich uns nicht tiefgründig öffnen, wenn wir nicht versuchen, härter und mit Entschlossenheit den Weg zu finden, der uns in den Genuss dieses Schatzes bringt. Praxis wird zu einem Zwanzig-Minuten-Sitzen, das das eigene Gewissen beruhigt und Sinn stiftend wirkt in dem Sinne, dass man ja etwas spirituell Gutes tut. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Typ von Praxis unser Leben nicht verändert; wir können [vielmehr] jahrelang auf diese Weise damit fortfahren, unfähig, die Decke unserer Unwissenheit zu durchbrechen. Nichtsdestotrotz habe ich inzwischen verstanden, dass dies vielleicht für viele der Weg gemäß ihrer Ursachen und Bedingungen, Karma und Umständen ist. Und es mag vielleicht besser sein, einem Sangha anzugehören als einem Golf- oder Poker-Club. Wir werden alle durch die Lehren transformiert und aus der Dunkelheit und Unwissenheit in die Verwirklichung eingehen, aber wir müssen darauf vertrauen, dass es einen [spezifischen] Weg und eine Zeit für jeden von uns gibt. So lasse ich von jeglichem Beurteilen ab und akzeptiere die Menschen wie sie sind. Ich fahre damit fort, weiterhin anderen Menschen zu helfen, fünfzig Minuten zu sitzen und ihre eigene Angst und mentalen Einschränkungen bezüglich ihrer Körper und ihrer Praxis zu überwinden. Das ist zu einem Gelübde geworden.
Mein drittes Gelübde ist eines geworden, das jeden Tag von alltäglichster Gegenwart ist. Mit Körper und Geist stehe ich mit ihm auf, lebe mit ihm und gehe mit ihm zu Bett. Es hat mit meinem Körper zu tun. Als Ergebnis einer sehr schlimmen Bestrahlungsbehandlung im Rahmen einer Krebsbehandlung im Jahr 1992, widerfährt mir in den letzten sechs Jahren ein langsam progressiver, aber klarer Niedergang meines Gehvermögens. Die Nerven in meinen Hüften senden nicht die notwendigen Signale an meine Beine, damit diese tun, was wir tun, um zu laufen, ohne darüber nachzudenken zu müssen. Ich muss jetzt mit Hilfe eines Stockes gehen und kann das nicht ohne hinzuschauen, zu überlegen und jeden einzelnen Schritt oder jede Drehung, die ich vornehme, vor zu planen. Hier und jetzt hat die Praxis den Alltag rund um die Uhr und jeden [einzelnen] Tag in Beschlag genommen. Wie ich mich bewege, atme, sitze, aufstehe und sonst welche anderen körperlichen Bewegungen mache, beansprucht mein gesamtes Sein. Das Gelübde ist gewesen, aus diesem Umstand eine tiefgründige Gelegenheit, Geduld, Liebe und Lernen zu praktizieren, werden zu lassen. Ich bekämpfe nicht, was passiert. Ich stelle mich jeden Tag darauf ein, während ich weiterlebe und das Leben mit anderen teile. Ich mache das Beste daraus. Ich habe eine tiefer gehende Fähigkeit, anderen zuzuhören, Lebensfreude zu teilen und andere Fähigkeiten dazu gewonnen, die ich, ohne die Geschwindigkeit herunterzufahren, niemals kultiviert hätte. Da ich im Bereich von Hospizarbeit mit unheilbar kranken und sterbenden Patienten tätig bin, kann ich erkennen, wie viel Leben immer noch in mir ist, um ihre Reise begleitend zu unterstützen und um besser mit meinem eigenen Körper und meinen eigenen Erfahrungen nachvollziehen zu können, was es bedeutet, zunehmend den Körper und das Leben, wie man es zuvor kannte, hinter sich zu lassen. Wenn wir ruhig und langsam werden, können wir das Flüstern der Welt hören; wenn die Menschen sterben, haben sie innerhalb einer Minute immer noch so viel Leben mit uns zu teilen, dass das Zeitempfinden eine andere Bedeutung und Dimension annimmt.
Ich bin zutiefst dankbar für mein Leben. Der von mir genommene Weg, den ich in sehr jungen Jahren begonnen habe, hat mich mit meinem Körper arbeiten lassen. Ich war eine Tänzerin, eine gute; ich lernte, meinen Körper dem Wunsch, die Schwerkraft zu überwinden, zu unterwerfen und ihn zu Extremen anzutreiben, um den Aktionsradius der Bewegungen und der Körpersprache zu erweitern. Als ich der Zen-Praxis begegnete, begann der Körper in die Gegenrichtung zu gehen: sich still niedersetzen und sich nicht bewegen. Atmen. Aber es war immer noch eine Körper-Praxis. Dann folgte das Fortschreiten muskulärer Erstarrung und ich musste lernen, mich auf andere Weise zu bewegen und andere Aspekte zu bedenken. Meine Praxis vertiefte sich und hielt in jeden meiner Lebensbereiche Einzug. Sitzen wurde selbstverständlich und machte glücklicherweise überhaupt keine Probleme. Es ist so, als ob zu sitzen jetzt für Stunden stattfinden könnte, und, um es mit den Worten meines Lehrers zu umschreiben, was für ein Vergnügen, einfach zu sitzen, ohne etwas zu tun oder nachzudenken zu haben; und nirgends ist hinzugehen.
Im Herbst meines Lebens ist das Sitzen aus tiefstem Grunde meines Herzens, Körpers und Geistes ein kostbares Geschenk geworden, ein Schatz, der seine Zeit brauchte, um sich vollständig zu enthüllen, obwohl das Leben noch einige Überraschungen für den [weiteren] Weg vorsehen mag, da alles nicht von Dauer ist. Aber alles in allem ist das Gelübde, zu praktizieren und Zazen zu teilen und alles, was dieser zentralen und grundlegenden Praxis entspringt, das Gelübde, das mein Körper/Geist heute lebt und freudvoll und tief zum Ausdruck bringt. Meine Dankbarkeit gegenüber meinen Lehrern, spirituellen Vorfahren, Eltern, Karma, Ursachen und Bedingungen, genauso wie gegenüber meiner Erkrankung und ihrer Heilung in meinem Leben, ist unendlich. Ich kann meine Schuld nur zurückzahlen, indem ich mein gesamtes Sein diesem Leben des Dharmas zum Wohle aller Wesen in den drei Zeiten und den zehntausend Richtungen hingebe.
Bodhisattva Vows in the 21st Century" Bodhisattva-Gelübde im 21zigsten Jahrhundert"
Published 2018 by Dogen Institute Dōgen Institute, veröffentlicht 2018
Kapitel 10
KAIKYŌ ROBY
DAS BODHISATTVA - HERZ
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Herz der Welt ein Bodhisattva-Herz ist. Ich bin überzeugt, dass wir sowohl in den drei Zeiten und in den zehntausend Richtungen als auch in jeder spirituellen und religiösen Tradition Bodhisattvas finden. Ich bin überzeugt, dass Bodhisattvas still und freudig gelassen und vielleicht zu anderen Zeiten auch etwas lauter, alle gemäß ihrer Lebensumstände, ihrer Kultur, Zeit und gemäß der Ursachen und Bedingungen zum Wohle aller Existenzen jenseits von Raum und Zeit gewirkt haben, gerade wirken und wirken werden, bis in die Unendlichkeit. Ich bin überzeugt, dass das gesamte Universum, das unendlich kleine genauso wie das makroskopisch bislang noch nicht erforschte große, mit dem Herz aller Bodhisattvas schlägt. Das drückt aus wie stark und grenzenlos dieses Vertrauen in meinem Körper/Geist unerschütterlich verwurzelt ist, eins mit den fünf skandhas, die mich in die Lage versetzen, zu fühlen, zu denken und diesen wundervollen Weg, der mir durch wundersames Karma gegeben wurde, zu teilen.
Die Wahrheit ist, dass das dieses Vertrauen und dieses tiefsitzende Gefühl jenseits von Worten sind, aber auch Worte sind kostbare Instrumente. Sie sind nützlich, weil sie es uns erlauben, in unserem Leben in der Gemeinschaft eine gemeinsame Basis zu finden und miteinander zu teilen. Wie hätten wir ohne Worte durch die Lehren und Beispiele von Şākyamuni Buddha, Dōgen-Zenji und all den Vorfahren, die das Licht des Dharmas durch Worte und Schrift übermittelt haben, erreicht und berührt werden können?
Ich denke und fühle, dass, wenn wir uns auf diesen Weg begeben – und ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich wissen, wann er für jeden von uns beginnt (Kein-Anfang und Kein-Ende) –, die Praxis und das Hören der Lehren Schwierigkeiten bereiten können und wir verstehen sie vielleicht auf eine naive Art und Weise. Auch das Herz braucht Schulung. Ein Bodhisattva zu sein bedeutet nicht nur Gutes tun zu wollen und anderen Priorität einzuräumen, es erfordert genauso, in kleinen Schritten zu lernen, Erfahrung für Erfahrung, Lehrer für Lehrer, wie, wo und wann Gutes zu tun ist – oder einfach gesagt, wie und wann zum Wohle anderer, als unserer Hauptmotivation, angemessen gehandelt wird. Da Avalokiteśhvara eine Hand für jeden und jedwede Lebensumstände hat, muss der Bodhisattva mit seinem ganzen Herzen und Körper erfahren und erlernen, wann zu sprechen, zu handeln oder ruhig zu bleiben und nichts zu tun ist, wenn es zum Wohle aller Wesen geschehen soll. Als Bodhisattvas beschreiten wir diesen Wef und erwachen auf diesem Weg. Einen Schritt nach dem anderen bewegen wir uns in kinhin in einem endlosen Kreis, endlose Kalpas den Schritten Buddhas und der Vorfahren folgend.
BODHISATTVAS DES 21ZIGSTEN JAHRHUNDERTS
Wer sind sie? Wo sind sie? Wie unterscheiden sie sich (oder auch nicht) von anderen in ihrem Tun? Bodhisattvas sind wie alle anderen menschlichen Wesen oder Wesen im Allgemeinen. Sie leben dieses Leben mit den unausweichlichen Aufgaben, die jeder in der Gesellschaft als einen Teil seiner oder ihrer Verpflichtung und Lebenspraxis zu bewältigen hat: Ehepartner, Mütter, Väter, Großväter, Lehrer, Ärzte, Anwälte, Mönche und Nonnen, Priester und Schweißer, Mechaniker und Müllarbeiter, Tiertrainer und Tierärzte. Als Bodhisattvas haben sie miteinander das Herz gemein, das alles geben will, um alle Wesen dabei zu unterstützen, einen Weg des Lichts, der Verwirklichung und des wahren Glücks zu beschreiten, unabhängig jedweder spirituellen Tradition oder deren Nichtvorhandensein und nicht nur diejenigen betreffend, die sich selbst für Buddhisten halten oder es sein wollen.
Obwohl Bodhisattvas in der gewöhnlichen Alltagswelt leben und gewöhnlichen Alltagsaktivitäten nachgehen, leben sie ein Leben, das durch das Gelübde geleitet ist, durch Praxis auf dem Kissen und in jeder Alltagsaktivität zu erwachen, und all das zum Wohle aller Wesen. Liebende Eltern, egal, was sie tun oder vorhaben mögen, haben immer die besten Absichten in Bezug auf ihre Kinder; sie leben angetrieben von dem edlen Wunsch, ihrer Nachkommenschaft die besten Möglichkeiten zu bieten. Bodhisattvas tragen auf genau die gleiche Weise das größte Interesse an allen Wesen in ihrem Herzen, aber sie werden eher durch Gelübde dazu bewegt, denn durch Karma. Sie haben die Wahl getroffen, ein Leben zu führen, welches das spirituelle Wohlergehen der Welt im Fokus hat, sich selbst von jeglichem persönlichen Interesse loslösend. Sie haben sich verbindlich dazu verpflichtet, mit ihren Herzen den Rufen der Welt zu lauschen und durch das Anbieten heilender Worte, Handlungen, harmonisierender Sichtweisen und eines Lebens, das die Freuden und die Sorgen aller Wesen miteinbezieht, die Leidensrufe in Erwachen zu transformieren,.
Das Bodhisattva-Leben ist eines nicht endender Umwandlung. Leben ist naturgemäß unbeständig. Wie können wir die gleichen bleiben (gleiche Sichtweisen, gleiche Meinungen, gleiche Strategien und Handlungen), wenn alles um uns herum sich ständig verändert? Geboren zu werden, zu altern, krank zu werden und zu sterben sind die Hauptveränderungen, denen wir, wenn wir das Glück haben, entgegensehen in unserem Leben. Aber zwischendrin werden alle Farben des Regenbogens, die heiteren und die bedrückenden, die freudvollen und die dramatischen, unser Leben und alle darin mit eingeschlossenen Existenzen auf unvorstellbare Weise bunt färben. Bodhisattvas, von Gelübde angetrieben, heißen diese Veränderungen willkommen – die kleinen, subtilen wie auch die wirklich durchschlagenden. Unverhüllt dem Wind entgegen, mit offenen Armen und dem Kopf himmelwärts, weinen oder freuen sie sich, aber vor allem umarmen sie die Veränderungen, die sie nicht kontrollieren können. Es ist einfach so zu verstehen, dass sich Bodhisattvas immer wieder und wieder, Mal für Mal, in die transformierende Wandlung, die auf ihrem Weg erscheint, verschmelzend einfließen lassen, mit allem, was dabei passiert.
DIE VIER GELÜBDE
Das sind die Hauptgelübde der Bodhisattvas aller Zeiten, von anfanglosen Zeiten bis zu den endlosen. Wir lesen und erforschen sie; wir drehen und wenden sie. Wir versuchen sie, die vier edlen Wahrheiten und die Beispiele unserer Vorfahren, durch ihr Studium und mit Hilfe unserer Lebenserfahrung, auf unser Leben anzuwenden. Wir scheitern, wir beginnen wieder und wieder; wir verlieren für einen Moment den Mut; wir bereuen unsere falschen Handlungen und unser mannigfaches Fehlverhalten jedes Mal, wenn wir auf dem Kissen sitzen. Schließlich erkennen wir eines Tages, dass unsere Praxis ohne Ziel und Gewinn ist, ohne Grenzen und ohne einen Zielort, den man erreichen oder an dem man aufhören könnte. Wir müssen, ohne darüber bestürzt zu sein, dabei bleiben, zu unserem Entschluss zurückzukehren, auf das Kissen, zu den Bodhisattva-Gelübden und zu unserem eigenen, persönlichen Gelübde dieses Leben betreffend. Ein Bodhisattva weiß, dass, wenn unsere Herzen den Spuren Buddhas und der Vorfahren folgen wollen, wir laufend unser Menschsein und unser Karma akzeptieren müssen, mit unserem Gelübde diese ausbalancieren müssen, zum Wohle der Welt fortwährend zu erwachen. Wir müssen darauf vertrauen, dass wir auf jede Weise durch die Buddhas und Vorfahren der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterstützt werden. Unsere Vorfahren zählen auf uns, unser Leben und unsere Praxis, um ins Leben zu treten und jene wundersamen Lehren inmitten des Ozeans dieser Existenz und aller Existenzen in saṃsāra/nirvāņa, Leben/Tod und in diesem und allen unendlichen Universen, vergangen, gegenwärtig, zukünftig, in Fluss zu halten.
Diese übergreifenden Gelübde, wie auch die sehr spezifischen, die wir verinnerlicht und denen zu folgen wir uns verpflichtet haben, sind tief in unseren Zellen und sozusagen in unserer DNA verwurzelt. Unsere Verwandlung von einem Herzen eines Bodhisattvas zu einem Leben eines Bodhisattvas verändert unseren Körper/Geist. Ich weiß nicht wie; ich kann nur die Kraft dieser Überzeugung und ihre Realität für mich bezeugen. Dieses Statement drückt mein Vertrauen in den Rückhalt durch die Vorfahren aus, nicht nur die der Sōtō Zen-Tradition, die weiterzutragen und mit meinem Leben zu teilen, ich gewählt habe, sondern der Bodhisattvas (man mag sie Heilige, Propheten, Messias oder irgendwelche Namen der verschiedenen Traditionen entsprechend nennen) und Vorfahren aller Traditionen. Ich vertraue auch darauf, dass unser Karma, zusammen mit unserer Praxis, fortlaufend Raum schafft für ein Mehr an Weisheit und Verfügbarkeit in Bezug auf das, was wir brauchen, um zu verwirklichen, was in jedem Aspekt unseres Leben verwirklicht werden muss. Aber wir sind uns klar darüber, dass die ganze Zeit, solange wir leben und sprechen, denken, handeln, Wünsche hegen, egal wie hehr sie auch sein mögen, wir Karma erschaffen. Diese Wandlung von Körper/Geist, welche sich nach und nach, genauso wie unmittelbar sofort, komplett durch unsere gesamte Existenz vollzieht, findet statt, während wir in Zazen unser Leben auf das Kissen bringen, die Hand des Denkens öffnen, wie Kōshō Uchiyama-Rōshi zu sagen pflegte, und wenn wir unsere Praxis vom Kissen in unser tägliches Leben übertragen und zulassen und erlauben, dass alles während all der Stunden und Ereignisse des Tages, der Wochen, Monate und Jahre kommen und auch wieder gehen darf
Wie mein Lehrer Okumura-Rōshi, vertraue ich tief darauf, dass Zazen, unsere stille und unbewegliche Praxis, das Zentrum und die Grundlage unseres Bodhisattva-Lebens ist. Ohne Zazen ist jede weitere Art und Weise unser Bodhisattva-Sein auszudrücken, leer, einfach nur eine Ansammlung hohler Worte und Handlungen wie eine Eierschale ohne Inhalt. Zazen, wie das Zentrum eines Rades am Fahrrad, erhält, stärkt und strahlt in jede Richtung unserer Lebenskreise und darüber hinaus in die Unendlichkeit. Nichts bleibt unberührt oder unverändert von dieser grundlegenden Erfahrung, wenn es sich um wirkliche und ernsthafte Praxis handelt. Wir müssen nicht wissen wie diese Veränderung funktioniert. Wir müssen sie in Erfahrung bringen und sie in unserem Leben erkennen und in den Leben derjenigen, die von unserem Leben berührt werden, welches nicht länger unser persönliches Ich-zentriertes Leben ist, sondern das Leben des Dharmas, welches durch uns hindurch fließt.
LEHRER DES WEGES ÖFFNEN TÜREN ZUM GRENZENLOSEN DHARMA
Als ich meinen Lehrer traf, war ich eine Weile ohne Lehrer gewesen. Ich praktizierte mit einer Zazen-Gruppe, die ich in Miami gegründet hatte und danach in Delray Beach, Florida. Ich wollte meine eigene Praxis stärken und den Schatz, den eine Sangha darstellt, die für mich der Ausdruck und das Gefäß aller Drei Schätze darstellt, teilen. Ich hing jedoch in der Luft, weil ein Lehrer ein sehr wichtiger Teil meiner Praxis und der Drei Schätze war. Ich hatte einige Jahre lang einen wundervollen Lehrer in Venezuela, einen französischen Schüler von Taisen Deshimaru-Rōshi. Es war mein erster Lehrer, Yves Zengaku Nansen Carouget (1926 – 2010), der mein Leben der Praxis zu einem Zeitpunkt eröffnete, als ich auf Grund des tragischen Todes meines Lebensgefährten den Boden unter den Füßen verloren hatte. Ich wusste nicht mehr, worum es im Leben ging; all meine Sicherheiten, so zahlreich und so stark wie mein Wille, waren innerhalb einiger Sekunden fortgeweht worden. Ich blieb emotional und spirituell zerbrechlich und zerschlagen zurück.
Ich begann mit der Praxis einige Monate nach dem tragischen Verlust. Ich hatte keine Idee, was Zen oder Zazen war. Still vor einer Wand sitzend, Tränen liefen meine Wangen hinunter, niemand da, der mir versicherte, dass es besser werden würde, erlaubte ich meinem Leben, so wie es war, sich zu öffnen und zu begreifen, was immer auch begriffen werden musste. Alles zusammen war einfach eine tiefe, beruhigende Erfahrung, obwohl ich nicht wusste wie und warum. Drei Jahre später, als ich nach Frankreich ging, schlug mein Lehrer vor, an jukai teilzunehmen. Ich zögerte nicht, sondern spürte einfach nur die Notwendigkeit, das zu tun, was er vorschlug. Ich nähte die Teile meines Rakusu in fünf Tagen in „La Gendronnière“ zusammen, dem Tempel, der zu Lebzeiten Deshimaru-Rōshis gegründet wurde und damals wie heute von mehreren seiner Schüler und Schülerinnen gemanagt wird. Tränen rannen abermals meine Wangen hinunter und dann kam alles zusammen. Dort und genau zu diesem Zeitpunkt erkannte ich, dass ich diesem Weg folgen wollte, auch wenn ich noch so viel zu lernen hatte. Es war ein sehr wichtiger Moment. Das Rakusu gab mir Kraft und Entschlossenheit voran zu schreiten, immer noch komplett ohne zu wissen, wohin dies führen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zumindest teilweise den Druck vermindert, den ich mir selbst machte, „klare“ Entscheidungen bezüglich meines Lebens treffen zu müssen. Ich lebte immer noch damit, Loslassen von Kontrolle als einen Verlust zu erleben, da ich immer „klare“ Entscheidungen bezüglich meiner weiteren Schritte getroffen hatte. Mein [persönlicher] Wille hatte mein Leben geleitet.
Dann kreuzte mein zweiter Lehrer, Roland Yuno Rech, ein weiterer Schüler von Deshimaru-Rōshi, meinen Weg. Ich lebte in Paris, Frankreich. Sein sanftes Auftreten und seine Art der Annäherung an die Praxis öffneten eine weitere Dharma-Tür. Der Dharma verwirklichte sich selbst auf verschiedene Arten und Weisen. Ich vollzog unter seiner Leitung 1995 shukke tokudō (Novizen-Ordination). Die Länder kurz hintereinander zu wechseln schuf eine Zeit lang ein Vakuum, aber die Praxis war immer präsent. Dann beschloss ich, in ein Kloster unter der Leitung von Jean-Pierre Taiun Faure zu gehen, wieder ein weiterer Schüler von Taisen Deshimaru-Rōshi. Ich machte die Zusage, das kleine Haus zu verkaufen, dass ich erst kurz zuvor in meiner Verwirrung darüber, wo ich leben und was ich tun sollte, in Florida gekauft hatte, aber ich geriet in den Vereinigten Staaten auf Grund der damaligen Finanzkrise in die Klemme. In diesem Jahr suchte ich Okumura-Rōshi auf, einen Lehrer suchend, mit dem ich praktizieren konnte, während ich darauf wartete nach Frankreich zurückzukehren. Ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, war ich an das Ende meiner spirituellen Suche nach einem Lehrer gekommen. In diesem Jahr besuchte ich Sanshin mehrere Male, immer noch in dem Glauben, dass ich auf den Moment wartete, in das Kloster in Frankreich zu gehen. Ich erinnere mich daran, dass ich zu Okumura-Rōshi während eines unserer ersten Gespräche sagte, dass ich wüsste, was ich tun wollte: nach Frankreich gehen, in ein Kloster mit Jean-Pierre Taiun. Er antwortete: „Ich bin froh, dass du weißt, was du willst.“ Seine ruhige Antwort blieb ein Kōan in meinem Leben. Sagte er das, wissend, dass ich in einem völlig verwirrten Geisteszustand war oder war er einfach ein Spiegel meiner eigenen Sehnsüchte? Heute kann ich sagen, dass ich, ohne mir darüber so richtig im Klaren zu sein, wirklich auf der Suche nach einem Lehrer war. Jedes Mal, wenn ich nach Sanshin zu einem Genzō-e (Retreat, das sich auf das Studium von Dōgens Shōbōgenzō konzentriert) ging, flossen bei mir während der Vorträge ganz natürlich die Tränen; das stellte kein Drama dar. Das einzige, was mir möglich war zu verstehen, war, dass zum ersten Mal jemand eine Sprache sprach, die mir eher so richtig, vertraut und ohne Umschweife in meine Knochen und mein Herz zu dringen schien als in mein intellektuelles Gehirn. Ich hatte dazu noch Durchfall, aber ich war nicht an etwas Physischem erkrankt. Es war die Krankheit meines Lebens, die durch die Berührung des wahren Dharmas, das aus allen Kalpas durch die Lehrvorträge Okumura-Rōshis in meinen Körper hinein floss, geheilt wurde. Es nahm auf eine sehr physische Weise Einfluss auf meinen Körper/Geist. Zu dieser Zeit und immer noch nicht begreifend, dass er der Lehrer war, den ich sogar schon vor meiner Geburt gesucht hatte (mein starkes Ego stand mir im Weg), teilte ich ihm mit, was mit mir passierte: Tränen und Durchfall. Er entschuldigte sich und ich antwortete ihm kraftvoll: „Bitte nicht! Es ist in keinster Weise dein Fehler. Es ist der Dharma, der dir erlaubt, durch deinen Körper, Geist und deine Rede in den Vordergrund zu treten und der alles in mir verwandelt.“ Ich fügte hinzu, “Wie die Lichtstrahlen in den Glasfenstern einer Kathedrale scheint Licht durch dich hindurch und erhellt alles, was es berührt.“ Jedoch hatte ich zu genau diesem Zeitpunkt immer noch nicht kapiert, dass er der Lehrer war, den ich brauchte und mir wünschte.
Ein Jahr zog vorüber und eines Tages – ich erinnere mich sehr deutlich daran – erwachte ich plötzlich am frühen Morgen, in jeder Hinsicht des Wortes. Ich wusste exakt in diesem Moment, dass Okumura-Rōshi der Lehrer war, nach dem ich gesucht hatte. Meine erste Reaktion darauf war Bestürzung: mein wahrer Lehrer war in den Vereinigten Staaten und ich wollte doch nach Frankreich gehen! Es kam zu einer Konfrontation zwischen dem, was ich – meine Ego-zentrierte Sicht – schon so lange geplant hatte und was der Dharma als Verwirklichung in mein Leben einbrachte. Ich schob das alles beiseite und rief sofort in Sanshin an, um mit Okumura-Rōshi zu sprechen und ihn zu fragen, ob er mich als seine Schülerin annehmen würde. Er hörte mir zu und fragte mich, ob ich mir dessen sicher sei. Ich versicherte ihm, dass es keinerlei Zweifel diesbezüglich gäbe. Er bat mich jedem meiner vorherigen Lehrer zu schreiben, um meine Entscheidung mitzuteilen. Ich brauchte Monate, um diese drei Briefe zu schreiben, weil ich jedem einzelnen von ihnen so viel schuldete und ich ihnen erklären wollte, wie sie mich, in ihrer unendlichen Großzügigkeit, zu diesem Momenten meines Lebens begleitet hatten. Ich wollte liebevoll und fürsorglich sein und versuchen zu vermitteln, dass es sich hier nicht um ein Auswählen des besten Lehrers handelte, sondern dass es sich einfach um das Weiterführen eines Weges, geleitet durch Karma und Dharma handelte, der mich zu dieser Zeit an diesen Platz gebracht hatte, um ihn mit Okumura-Rōshi als meinem Lehrer zu teilen.
Nach diesem wirklich umfassend Grund legenden Moment verstand ich, dass wir einen Lehrer nicht wählen, weil die örtliche Lage einem zupasse kommt oder aus einer anderen vernunftsmäßigen oder banalen Logik heraus. Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn unsere Praxis ernsthaft und aufrichtig ist, der Dharma sich selbst auf jedwede Weise manifestiert und in jedem Moment erscheinen lässt, was ihr verwirklichen müsst. Es mag allmählich oder wie in meinem Fall plötzlich passieren, obwohl ich sicher bin, dass das Jahr meines Ankunft in Sanshin mich darauf vorbereitete, was ich an jenem frühen Montagmorgen erkennen sollte. Während ich damals diese Briefe an jeden meiner vorherigen Lehrer schrieb, machte ich die Erfahrung, wie schwierig und schmerzhaft es sein kann, von einem Lehrer oder einer Lehrlinie zu einer anderen zu wechseln, sogar wenn es einem absolut klar ist, in welche Richtung es geht. Ich habe vermocht daran herumzuknobeln und diese Überlegungen mit anderen zu teilen, die das gleiche durch machten, einschließlich mit einem meiner Schüler. Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass wir niemand anderem als dem Dharma Treue schulden, wohin und wie auch immer er uns auf unserem Weg führt. Wir lassen keinen Lehrer oder eine Herkunftslinie oder einen Sangha im Stich; Lehrer, Sanghas und Lehrlinien sind Dharma-Türen, die wir zum Wohl aller Wesen durchschreiten. Wenn wir einen Wechsel vollziehen, um unter der Leitung eines anderen Lehrers zu sein, verneigen wir uns in unendlicher Dankbarkeit vor dem Lehrer, der Sangha und dem Dharma, die uns bis zu diesem Zeitpunkt in unserer Praxis unterstützt haben und uns in die Richtung führten, in die wir uns nun ausgerichtet haben. Da sollte es keine Schuld, keinen Tadel oder Bedauern irgendeiner Art geben; letzten Endes beschreiten wir einfach den unendlichen Weg unseres Lebens geführt durch das Leben und das Licht des Dharmas. Jeder wahre Lehrer versteht das.
In einer weiteren damit verbundenen Überlegung glaube ich, dass, wenn wir einen Schritt vollziehen, wie zu einem neuen Lehrer oder Lehrlinie zu wechseln, wir alle lernen: der Mensch, der den Schritt vollzieht, genauso wie der Lehrer und die Sangha, von denen wir uns verabschieden. Es erlaubt uns allen, Fragen zu stellen: Warum wechselt dieser Mensch die Richtung? Hat es mit etwas zu tun, was wir getan oder nicht getan haben? Es wäre eine wundervolle Gelegenheit zu lernen und ein Erfahrungsmoment für alle, wenn dieser Mensch die Gelegenheit erhielte „Lebt wohl!“ zu sagen und sich in Dankbarkeit vor allen zu verneigen, seine/ihre Beweggründe darzulegen und sich nicht zurückgewiesen fühlen müsste oder betrachtet werden würde wie ein Verräter. Unglücklicherweise habe ich mehr als einmal negative Reaktionen miterleben müssen, die es für alle schmerzhafter und verwirrender werden liessen.
MEINE PERSÖNLICHEN GELÜBDE
Es brauchte einige Zeit und Lebenserfahrung, in der Lage zu sein und zu verstehen, was sich als eine Lebensmission herausstellte, die zu meinen Gelübden wurde. Da mein Lehrer den Gelübden seines Lehrers folgte, dienten mir sein Leben und seine tägliche Hingabe in dieser seiner gelebten Verkörperung jahrelang als große Inspiration. Schlussendlich gelang es mir zu klären, was ich wollte und tun musste, um ein Wirken der Liebe für alle Wesen tief umarmen zu können. Ich wünschte mir aus vollstem Herzen und mit ganzer Lebenskraft diesen Pfad mit anderen, Buddhisten oder nicht, zu teilen und daran mitzuwirken, Okumura-Rōshis Verständnis unserer Tradition in noch größerem Umfang verfügbar zu machen. Eines jener Gelübde war es, Zen-Texte aus dem Französischen oder Englischen ins Spanische zu übersetzen. Ich hatte bereits schon mit meinen zwei vorherigen Lehrern Zen-Texte übersetzt, so dass es irgendwie da schon eine Richtung gab, obwohl es an diesem Punkt noch nicht ein Gelübde war. Ein Gefühl der Dringlichkeit kam auf. Ich wollte wirklich anderen Zugang zu diesen wundervollen Lehren verschaffen und so begann ich einige von Okumura-Rōshis Texten mit seiner Erlaubnis zu übersetzen. Ich muss zugeben, dass ich nicht sehr zügig darin war, mich an das zu begeben, was ich mir als Mission vorgenommen hatte. Ich bitte dafür um Verzeihung. Bis jetzt habe ich zwei Texte übersetzt, Introduction to Zen und The Wholehearted Way. Weitere Bücher sind in der Warteschlange. Unglücklicherweise war es für mich und meinen Dharma-Bruder Denshō Quintero in Kolumbien schwierig, in der spanischen Verlegerwelt jemanden zu finden, der an dieser Art von Werken interessiert ist. Das entmutigt mich nicht, weil ich weiß, dass ich keine Kontrolle darüber habe, vielmehr muss ich den großen Dharma-Wegen trauen, uns zu leiten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Weitere Bücher stehen für eine Übersetzung an: Dōgen-Zenjis waka Gedichte⁵ und Living by Vow. Ich hoffe, die Energie und die Ursachen und Bedingungen für die Bewerkstelligung dieser so dringend benötigten Arbeit zu haben, um die Sanghas der spanischsprachigen Welt zu erreichen.
Als eine Erweiterung dieses Gelübdes habe ich meine Schüler und Schülerinnen in Deutschland und Venezuela dazu angespornt, die Texte meines Lehrers zu studieren und zu übersetzen. Meine deutsche Schülerin Ryōshun [Kyōkū] Lutz hat bereits Living by Vow übersetzt, das von einem wichtigen Verlagshaus, das auf spirituelle und religiöse Bücher spezialisiert ist, zur Veröffentlichung akzeptiert wurde. Es hat bereits Okumura-Rōshis Genjōkōan veröffentlicht. Der deutsche Sangha und ich sind äußerst froh darüber, da es hilft, sein einzigartiges und tiefes Verständnis der Lehren zu verbreiten. Zum anderen erlaubt es dem Sangha, den ich spirituell leite, unsere Arbeit auf der Praxis und dem Studium dieses kostbaren Materials basieren zu lassen, das für unser Verständnis der Lehrinhalte in unserer Tradition und Lehrlinie essenziell geworden ist. Für seine ständigen und unermüdlichen Anstrengungen sind und werden wir Okumura-Rōshis Leben und seiner [unermüdlichen] Hingabe bezüglich der Übersetzung von Dōgens Werk, für immer vorbehaltlos dankbar sein.
Mein zweites Gelübde – und vielleicht dasjenige, um das ich mich sogar noch mehr bemüht habe, seit ich im Jahr 1987 begonnen habe, diesen Weg zu beschreiten – ist es, die Zazen-Praxis zu teilen. Wo immer ich gelebt habe – Venezuela, Frankreich, Deutschland und die Vereinigten Staaten – habe ich stets eine Zazen-Gruppe gegründet. Viele Male wurde ich gebeten, zusätzlich Textstudium anzubieten, aber bei jeder Gelegenheit empfand ich, dass eine Menge Material vor Ort war, wie Bücher, Höraufnahmen oder YouTube-Videos, aber nicht genug Zeit, die der Stille und der Praxis gewidmet wurden. Ich war damals, und bin es noch heute, davon überzeugt, dass, obwohl es wichtig ist zu studieren, die Texte nicht viel Sinn machen, wenn man noch keine Zazen-Praxis als eine Grundlage des Weges und seines Lebens etabliert hat. Dem Beispiel meines Lehrers mit Entschlossenheit folgend, versuche ich mein Bestes zu geben, die absolute Grundlage, die Zazen-Praxis, zu teilen, indem ich darauf bestehe, dass es sehr wichtig ist, intensiv zu praktizieren und nicht ab und zu ein bisschen, um die Decke der Unwissenheit, die uns zermalmt, zu durchbrechen. Es ist ein rechtes Unglück zu sehen, wie Menschen gedankenlos mit der Praxis herumspielen, indem sie sehr hartnäckig versuchen, die Praxis an ihre eigenen persönlichen Bedürfnisse, ihr Verständnis und ihr Belieben anzupassen. Anstatt dem Sanshin-Stil, Einheiten von fünfzig Minuten Länge zu sitzen, zu folgen, möchten sie dies nur zwanzig oder dreißig Minuten tun. Wir bekommen alle Arten von Argumenten zu Gehör. Ein Mangel an Vertrauen, Verständnis und Erfahrung verstellt den Menschen den Weg und verhindert das Überschreiten eines bestimmten Punktes in ihrer Praxis.
Wie ich viele Male wiederholt habe, ist unsere Praxis ein wahrer Schatz; er wird sich uns nicht tiefgründig öffnen, wenn wir nicht versuchen, härter und mit Entschlossenheit den Weg zu finden, der uns in den Genuss dieses Schatzes bringt. Praxis wird zu einem Zwanzig-Minuten-Sitzen, das das eigene Gewissen beruhigt und Sinn stiftend wirkt in dem Sinne, dass man ja etwas spirituell Gutes tut. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Typ von Praxis unser Leben nicht verändert; wir können [vielmehr] jahrelang auf diese Weise damit fortfahren, unfähig, die Decke unserer Unwissenheit zu durchbrechen. Nichtsdestotrotz habe ich inzwischen verstanden, dass dies vielleicht für viele der Weg gemäß ihrer Ursachen und Bedingungen, Karma und Umständen ist. Und es mag vielleicht besser sein, einem Sangha anzugehören als einem Golf- oder Poker-Club. Wir werden alle durch die Lehren transformiert und aus der Dunkelheit und Unwissenheit in die Verwirklichung eingehen, aber wir müssen darauf vertrauen, dass es einen [spezifischen] Weg und eine Zeit für jeden von uns gibt. So lasse ich von jeglichem Beurteilen ab und akzeptiere die Menschen wie sie sind. Ich fahre damit fort, weiterhin anderen Menschen zu helfen, fünfzig Minuten zu sitzen und ihre eigene Angst und mentalen Einschränkungen bezüglich ihrer Körper und ihrer Praxis zu überwinden. Das ist zu einem Gelübde geworden.
Mein drittes Gelübde ist eines geworden, das jeden Tag von alltäglichster Gegenwart ist. Mit Körper und Geist stehe ich mit ihm auf, lebe mit ihm und gehe mit ihm zu Bett. Es hat mit meinem Körper zu tun. Als Ergebnis einer sehr schlimmen Bestrahlungsbehandlung im Rahmen einer Krebsbehandlung im Jahr 1992, widerfährt mir in den letzten sechs Jahren ein langsam progressiver, aber klarer Niedergang meines Gehvermögens. Die Nerven in meinen Hüften senden nicht die notwendigen Signale an meine Beine, damit diese tun, was wir tun, um zu laufen, ohne darüber nachzudenken zu müssen. Ich muss jetzt mit Hilfe eines Stockes gehen und kann das nicht ohne hinzuschauen, zu überlegen und jeden einzelnen Schritt oder jede Drehung, die ich vornehme, vor zu planen. Hier und jetzt hat die Praxis den Alltag rund um die Uhr und jeden [einzelnen] Tag in Beschlag genommen. Wie ich mich bewege, atme, sitze, aufstehe und sonst welche anderen körperlichen Bewegungen mache, beansprucht mein gesamtes Sein. Das Gelübde ist gewesen, aus diesem Umstand eine tiefgründige Gelegenheit, Geduld, Liebe und Lernen zu praktizieren, werden zu lassen. Ich bekämpfe nicht, was passiert. Ich stelle mich jeden Tag darauf ein, während ich weiterlebe und das Leben mit anderen teile. Ich mache das Beste daraus. Ich habe eine tiefer gehende Fähigkeit, anderen zuzuhören, Lebensfreude zu teilen und andere Fähigkeiten dazu gewonnen, die ich, ohne die Geschwindigkeit herunterzufahren, niemals kultiviert hätte. Da ich im Bereich von Hospizarbeit mit unheilbar kranken und sterbenden Patienten tätig bin, kann ich erkennen, wie viel Leben immer noch in mir ist, um ihre Reise begleitend zu unterstützen und um besser mit meinem eigenen Körper und meinen eigenen Erfahrungen nachvollziehen zu können, was es bedeutet, zunehmend den Körper und das Leben, wie man es zuvor kannte, hinter sich zu lassen. Wenn wir ruhig und langsam werden, können wir das Flüstern der Welt hören; wenn die Menschen sterben, haben sie innerhalb einer Minute immer noch so viel Leben mit uns zu teilen, dass das Zeitempfinden eine andere Bedeutung und Dimension annimmt.
Ich bin zutiefst dankbar für mein Leben. Der von mir genommene Weg, den ich in sehr jungen Jahren begonnen habe, hat mich mit meinem Körper arbeiten lassen. Ich war eine Tänzerin, eine gute; ich lernte, meinen Körper dem Wunsch, die Schwerkraft zu überwinden, zu unterwerfen und ihn zu Extremen anzutreiben, um den Aktionsradius der Bewegungen und der Körpersprache zu erweitern. Als ich der Zen-Praxis begegnete, begann der Körper in die Gegenrichtung zu gehen: sich still niedersetzen und sich nicht bewegen. Atmen. Aber es war immer noch eine Körper-Praxis. Dann folgte das Fortschreiten muskulärer Erstarrung und ich musste lernen, mich auf andere Weise zu bewegen und andere Aspekte zu bedenken. Meine Praxis vertiefte sich und hielt in jeden meiner Lebensbereiche Einzug. Sitzen wurde selbstverständlich und machte glücklicherweise überhaupt keine Probleme. Es ist so, als ob zu sitzen jetzt für Stunden stattfinden könnte, und, um es mit den Worten meines Lehrers zu umschreiben, was für ein Vergnügen, einfach zu sitzen, ohne etwas zu tun oder nachzudenken zu haben; und nirgends ist hinzugehen.
Im Herbst meines Lebens ist das Sitzen aus tiefstem Grunde meines Herzens, Körpers und Geistes ein kostbares Geschenk geworden, ein Schatz, der seine Zeit brauchte, um sich vollständig zu enthüllen, obwohl das Leben noch einige Überraschungen für den [weiteren] Weg vorsehen mag, da alles nicht von Dauer ist. Aber alles in allem ist das Gelübde, zu praktizieren und Zazen zu teilen und alles, was dieser zentralen und grundlegenden Praxis entspringt, das Gelübde, das mein Körper/Geist heute lebt und freudvoll und tief zum Ausdruck bringt. Meine Dankbarkeit gegenüber meinen Lehrern, spirituellen Vorfahren, Eltern, Karma, Ursachen und Bedingungen, genauso wie gegenüber meiner Erkrankung und ihrer Heilung in meinem Leben, ist unendlich. Ich kann meine Schuld nur zurückzahlen, indem ich mein gesamtes Sein diesem Leben des Dharmas zum Wohle aller Wesen in den drei Zeiten und den zehntausend Richtungen hingebe.